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2025

zur Ausstellung TRANSPORÖS @Kunstraum Potsdam

https://www.instagram.com/yung__fern/

presse
tagesspiegel 10_01_2025
MAZ 1 11_01_2025

Jeanne Mathas
Kunsthistorikerin, unabhängige Kunstkritikerin 

M a t r e s z e n z e n


„Das Spiel ist ein Kampf um etwas oder eine Darstellung von etwas.“
- Huizinga, J., Homo ludens, S. 35



Transpörös im Kunstraum Potsdam ist eine Traverse, eine Überfahrt. Ein Eintauchen in die Matreszenz, als liminaler Raum - eine durchlässige Membran. Eine erweiterte Mutterschaft, die mit dem Lebendigen verbunden ist und sich den vorherrschenden Zuweisungen und Narrativen entzieht. Die Ausstellung verschiebt den Blick, hinterfragt bestimmte historische, normative und essentialistische Rahmen.

Das Kollektiv YUNG FERN geht über die bloße Darstellung des Gebärens hinaus, sie erforscht, hinterfragt und öffnet es von innen heraus. Denn Mutterschaft ist keine Selbstverständlichkeit. Ihr Ansatz ist immersiv, durchzogen von den Spannungen, die zwischen Weitergabe, Fürsorge und Widerstand schwanken. Hier existieren und leben alle Mütter zusammen: die, die es sind, die, die es waren, die, die es hätten sein können, die, die es abgelehnt haben. Diejenigen, die sich dafür entschieden haben, die, denen es aufgezwungen wurde, die, die es verloren haben, die, die auch überlebt haben.

Transpörös ist ein kollektives Werk, eine politische und vielstimmige Geste, die den Individualismus ablehnt. Die aufblasbare Installation entfaltet sich wie ein lebender Organismus. Eine Raumübernahme als Ablehnung der Auslöschung von Künstler :innen und insbesondere von Frauen, deren Mutterschaft oft als Hindernis für das Schaffen aufgestellt wurde. Man navigiert durch diese Intervalle, durch so viele Übergangszustände, in einem hybriden Universum am Rande des Spiels, ganz am Rande des Spiegels von Alice.

Denn Transpörös ist ambivalent. Die Mutterschaft ist gleichzeitig Entstehung und Zerstörung, Befreiung und Entfremdung. Sie kann zur Fabrik werden, zum Ort der Überwachung und Disziplinierung, wo die Phantasie der perfekten Mutter auf die Realität der durch Normen, Gesetze und Biotechnologien geformten und zerstückelten Körper trifft. Wo hört care auf? Wo beginnt die Standardisierung des Lebendigen? Zu einer Zeit, in der bestimmte politische Reden zur demografischen Aufrüstung aufrufen und die Geburtenrate zu einem strategischen Thema wird, erinnert diese Ausstellung daran, dass Mutterschaft weder eine Mission noch ein Befehl ist. Sie kann eine Wahl, eine Ablehnung oder ein Unfall sein. Ein Raum des Widerstands.

Das ist die ganze Doppeldeutigkeit der Installation der Puppenabgüsse auf einer Kette von Tragen, die Alice Neels Gemälde Well Baby Clinic (1929) heraufbeschwört. Das Kind schwimmt zwischen zwei Wassern, in diesem makellosen Friedhof, in dem ein Lebensnotstand herrscht. Reparieren oder formatieren? Sanftheit und Angst überlagern sich, wie in der gesamten Ausstellung. Deleuzsche Falten und Mäander, fleischliches Rosa und klinisches Weiß. Ein Quartett von Müttern, eine Polyphonie, die mit dieser hartnäckigen Frage mitschwingt: Was trägt die Mutterschaft in sich, das mächtig, politisch, aber nicht weniger zerstörerisch ist?

In Transpörös navigiert man zwischen Fürsorge und Zusammenbruch, Matrix und Dystopie. Mit Respektlosigkeit spielen die Künstler mit der Verschiebung. Die Mutterschaft bleibt kein Dogma, sondern wird plastisches Material, eine bewegliche, subversive Struktur.

Jenny Alten, Lou Hoyer, Susanne Ramolla und Cécile Wesolowski fegen auf spielerische Weise die gesellschaftlichen Anordnungen beiseite und rehabilitieren die Unvollkommenheit, die Lücke, die Durchlässigkeit. Die Erfahrung überwindet die Identität. In diesem Ausstellungs-Chor vermischen sich die Blicke und die Körper, bewegen sich, brechen zusammen und heilen.


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Jenny Alten zum
Z u m   T r a n s p o r ö s   P r o z e s s 


Die Ausstellung Transporös ist persönlich, aber nicht individuell. Das Zusammentreffen von vier Künstlerinnen aus unterschiedlichen Generationen und mit verschiedenen Ausdrucksformen wird verbunden durch unsere Rolle als Mütter. Die Herausforderungen, die uns dabei beruflich begegnen, nutzten wir als Brennglas, um bei unseren Treffen im Vorfeld der Ausstellung einen gemeinsamen roten Faden zu finden.

Wir arbeiten uns z.B. daran ab, dass eine von uns noch sehr kleine Kinder hat und damit zeitlich eingeschränkte Ressourcen. Es entsteht die Idee eines unendlichen Schaffensprozesses. Ein Moment der nicht gestört werden kann durch die unerwarteten Bedürfnisse eines Kindes. Wir imaginieren diesen Prozess nicht im Leeren, sondern konkret in den langen Räumen des Kunstraums und stellen uns die Produktion unendlich vieler Neugeborener vor. Eine Reproduktionsmaschinerie wird in Gang gesetzt. Die klassische Technik einer Gussform nach einem Original aus Ton. Doch die Formung der Vorlagen aus Ton erweist sich als zeitaufwändig. Und hier biegen wir ab, denn Zeit ist eine Ressource, die für Mütter knapp werden kann. Erst in diesen Momenten entsteht die von uns konzeptionell in den Vorüberlegungen postulierte Porosität. Eine instabile Beschaffenheit des Prozesses, die wir nicht als Makel erleben, sondern als künstlerische und persönliche Durchlässigkeit. Gemeinsam: Die Entscheidungsprozesse scheinen einfach, weil wir auf ähnliche Erfahrungen zugreifen können.

Ein neuer Ansatz zur Herstellung der Konfektionsbabys: Von der Reborn-Community erwerben wir einige Puppen. Diese Puppen streben an, lebensecht zu sein. Ihre Gesichtszüge sind nicht idealisiert. Ihr Gewicht gleicht dem eines Neugeborenen. Die Reborn-Puppen haben viele Aufgaben, bei ungewollter Kinderlosigkeit, nach Fehlgeburten oder Kindstod. Die Preisspanne reicht von Flohmarkt-Schnäppchen bis zu einem Kleinwagen. Warum genau die Frauen, deren Puppen wir weiterverarbeiten, sich von ihren Puppen trennen, bleibt im Dunkeln. Jetzt, beim Schreiben des Texts fällt mir ein, dass ich sie gerne zur Ausstellung einladen würde, um den Faden weiterzuspinnen.

Wir nutzen die Puppen als Vorlagen für Formen aus Alginat mit denen wir Gipsabgüsse herstellen. Unsere Idee vom Baby-Fließband hatten wir von der KI Midjourney visualisieren lassen. Die dabei entstandenen KI-spezifischen Defekte nehmen wir in der Produktion auf. KI-Neugeborene haben sämtlich weiße Hautfarbe. Das hat uns zum Material Gips gebracht. Außerdem hatten die Körper Rechendefekte, die zu Versatzen an Körperteilen führten. Statt Haaren eher so etwas wie zusammengeknotete Plastiktüten. Mit Latex umwickelt Cécile die Köpfe der Puppen und schafft einen ähnlichen Effekt.

Die Idee aus den KI-generierten Visualisierungen wieder analoge Welten herzustellen, stammt noch aus der frühesten Konzeption. Wir haben uns die Frage gestellt, ob sich KI generierter Content entzaubern würde durch seine Herstellung als analoge Werke?Wir wollen die Grenze untersuchen, an der das Generierte das Ungreifbare, (gemeint ist das von Lacan beschriebene „Le Réel“, also dass sich der Symbolisierung Entziehende), berührt. Und es entsteht die Frage, ob KI dieses Ungreifbare überhaupt produziert. Die KI-Visualisierung unserer Idee sind nicht wir, es ist lediglich ein (aus anderen Bildern abgeleitetes) Bild unserer Idee. Aber beinhaltet dieses Bild, dass was u.a. Kunst ausmacht, eine Ahnung des „impalpable“? Entsteht ein emergenter Prozess? Ist das Entstehende trotz exponentieller Datenmengen komplex genug für ein Chaos, was eine wirkliche Neuorganisation nach sich zieht? Welches Element der KI wandert in unsere Arbeit? Mikrochimären, Zellen der Ungeborenen, die durch die Nabelschnur in den Körper der Mutter gelangen?

Es sind die Glitches, die uns unerwartet an anderer Stelle wiederbegegnen: Je häufiger wir die Alginat Formen nutzen, desto weniger präzise wird der Abdruck. Es entstehen Fehler. Genau die Versatzfehler, die wir schon aus der Visualisierung kennen. Diese analogen Defekte machen die Gipsabdrücke unterscheidbar. Wir bleiben bei der Übersetzung von KI-Fehlern ins Analoge. Diese hatte uns abstrakte Körperteile ausgespuckt. Weg vom Detail arbeiten wir mit Plastikschläuchen und ausgedienten Nylon-Strümpfen an der abstrahierten Massenproduktion. Es entstehen Körperberge, Abgründe von Trümmerfeldern. Damit nähern uns noch auf einer anderen Ebene Fragen, die wir im Konzept stellten: Dort hatten wir Nicolas Bourriaud zitiert, der sich auf den von Burke 1757 postulierten Unterschied von „beauty“ und „the sublime“ bezieht. Burke sage “whatever is in any sort terrible, or is conversant about terrible objects, or operates in a manner analogous to terror, is a source of the sublime” (Burke (1757), nach Bourriaud, S.12). Bourriaud führt aus: “The visual translation of this feeling of terror stems from the loss of one’s bearings. Above all, the art of the Romantic sublime exalts out-of-scale sensations” (Bourriaud, 2020, S.12). Wir bezogen uns im Konzept noch auf die Irrelevanz von physischem Scale von KI-Cntent und seine Uncanny-Valley-Überschreitungen, als Möglichkeit das Ungreifbare zu streifen. Gibt es eine Verbindung zwischen Sublimität und der Erfahrung des Gebärens? Ist der Verlust eines Zustandes mitverantwortlich für die übermenschlichen Gefühle, die diese Erfahrung hervorrufen kann?

500 kg Gips gießen wir in der Schließzeit der Kunstschule Babelsberg. Ein körperlich anstrengender Prozess, den wir alle als eine unendliche Anzahl von Geburten erleben. Die warmen Kinderköpfe werden empfangen und ihre „Fehler“ bedingungslos geliebt. Doch die Schule beginnt, die Werkstätten müssen wieder sauber sein und wir haben noch nicht genug Kinder. Woher kommt unsere Unersättlichkeit? Warum müssen wir die Dimension sprengen und uns der Skala des Kunstraums anpassen? Könnten wir nicht auch mit einer zarten, kleinen Arbeit berühren?

Wir finden im freiLand Potsdam, wo auch mein Atelier ist, einen neuen Ort für die Kinder-Produktion. Die ehemalige Autowerkstatt der Arado Flugzeugwerke eignet sich mit seinem Betonboden hervorragend. Über 3 Wochen verschwinden wir täglich in einem mit Malerfolie abgeschirmtem Bereich.

Überall klebt weißer Staub. So erleben wir die körperliche Erschöpfung der Reproduktion erneut. Aber nicht unerwartet und fremdgesteuert. Sondern als eine Grenzerfahrung, die mir wieder vor Augen führt, wie anstrengend das Kindergebären war. Wie erschöpft und glücklich ich war, aber auch traurig, dass so viel Anderes auf der Strecke blieb: Es gab kaum Zeit zum Duschen; der Gips war gerade abgespült, die Mutterbrust wieder im Still-BH verstaut, da ging die nächste Runde los.

Wie sehr sehnte ich mich nach einem Moment mit mir selbst. Mit klarem Kopf und der Gewissheit den Prozess ins unendliche Dehnen zu können, wenn ich oder das Projekt es erforderte. Stattdessen war ich als frische Mutter damit konfrontiert, mich weder konzentrieren zu können, noch hatte ich die Kraft, die Nacht zum Tage zu machen, weil ich all meine Kraft für den Tag brauchte. Geht es mir wie Charlotte, die Orna Donath in ihrem Buch „regretting motherhood“ zitiert?„Es ist kompliziert, weil ich zwar bereue Mutter geworden zu sein, aber ich bereue sie [ die Kinder ] nicht, ihre Persönlichkeiten. Ich liebe sie.“ Bereue ich, Mutter geworden zu sein? Oder ist es nur im Bezug auf den Markt?

Mein erster Sohn wurde im Studium geboren. Mit einem Herzfehler. Alle 2-3 Stunden wollte er trinken bis zu seiner Herzoperation im Alter von 3 Monaten. Auch in der Nacht. Und in der Zeit dazwischen war ich alleine. Jetzt, als uns der Prozess der Babyherstellung über den Kopf wächst, erzähle ich einer Kollegin außerhalb unserer Gruppe davon. Sie springt spontan ein. Hat mehr Erfahrung als wir mit Gipsformen. Wir bauen Silikonformen, mit denen sich scheinbar eine unendliche Zahl von Abdrücken herstellen lassen. Skalierbarkeit kehrt ein. Mein Gemeinschaftsatelier ist feucht von den Hunderten trocknenden Gipsteilen. Eine unangenehme Schwüle bei der niemand klar denken kann. Es erinnert mich an die Zeit nach der Geburt, wo die Zimmer zum erweiterten Mutterleib werden. Irgendwo in der Formfindung von Babyhänden fallen mir die Kompressionshandschuhe meiner Tochter ein. Sie hatte im Alter von einem Jahr einen Verbrennungsunfall und verlor zwei Finger. Noch viele Jahre danach musste sie Kompressionshandschuhe an den Händen tragen. In diese gossen wir Gips. Beim Auspellen kamen alle Erinnerungen zurück daran, die kleinen Kinderhände aus den viel zu engen Handschuhen zu ziehen.

Dieses Repetitive, immer wieder aufstehen und ein Schulbrot machen, Windeln wechseln, ein Gute-Nacht-Lied singen ist ermattend und gedankenleer. Doch es gibt auch eine Schönheit. Wie im künstlerischen Prozess werden die Dinge durch Wiederholung leichter, gelenker. Und es stellt sich auch bei der Herstellung unserer Babykörperteile eine Befriedigung ein.

Doch uns drängt die Zeit. Wir können nicht in der Höhle verweilen. Wir schrubben und saugen bis wir das Atelier in eine Nähstube verwandelt haben und rattern an den Maschinen. Wieder treibt uns etwas an, den Raum zu füllen. Ehrfurcht vor der Raumgröße lässt uns Hunderte Meter Stoff zu Schläuchen vernähen. Da sich bei den Tests im August herausgestellt hatte, dass die mit Volumenvlies gefüllten Formen die Traglast der Wände übersteigen, insistiert Cécile, dass wir Luftfüllungen machen.

In der Lebensmittelindustrie gibt es Verpackungsschläuche in gefühlt unendlicher Länge. Genau was wir brauchten, um Verbindungen über die gesamte Länge des Giebelraum des Kunstraums zu legen. Doch wie verschließen? Ein professionelles Schweißgerät unerschwinglich. Also haben wir doch klassisch begonnen. Mit einem Kabelrohr als Innenleben und Volumenvlies als Füllstoff. Doch die Reste des Volumenvlies von meiner Installation wh/te noise reichen nicht aus und wir bauen zusammen mit dem Chaos Computer Club (CCC) eine erste improvisierte Schweißmaschine: ein Draht, der mit Strom erhitzt wird. Mit einer Holzleiste pressen wir Schweißdraht und Plastikschlauch zusammen. Es funktioniert!

Im Atelier hängt ein mit Luft gefüllter Schlauch, als Testobjekt. Ob er die Luft wirklich halten wird über den Ausstellungszeitraum? Wir können nicht warten, denn der Eröffnungstermin rückt näher. Wir stellen Bezüge her. Insgesamt 527 Meter.

Ist es in Ordnung eine solche Menge an Stoff und Plastikschläuchen zu verbrauchen? Gibt es Alternativen? Was bedeutet es als Frauen und Mütter sich Raum zu nehmen? Welche Ressourcen werden unseren Kindern noch zur Verfügung stehen? Im Atelier lässt sich die Leichtigkeit nur erahnen, die die mit Luft gefüllten Röhren haben werden: Von einer Person können sie mit der Hebebühne auf die Höhe des Raums angehoben werden und dann sogar noch dort befestigt. Die Formgestaltung ergibt sich aus den Hängepunkten und den Möglichkeiten durch die bereits befestigten Arbeiten, noch mit der Hebebühne hindurch zu fahren. Es fühlt sich wie ein lang eingeübter Prozess an: Mit dem Umgehen, was sich ergibt. Auch hier wieder die Parallelen zur Mutterschaft: Es gibt keine Zeit, uf eine bestimmte Stimmung für die Kunstherstellung zu warten, sondern ein Greifen des Moments: In dem das Kind sich spontan verabredet hat, der Mittagsschlaf länger dauert. Weit weg von dem, was Sheila Heti ihren Freund in ihrem Buch Mutterschaft sagen lässt: „Der Egoismus des Kinderkriegens gleiche dem bei der Kolonisierung eines Landes – hinter beidem stecke der Wunsch, der Welt seinen Stempel aufzudrücken, ihr deine Werte aufzuzwingen und sie nach deinem Bilde zu formen.“ (Heti (2019), S. 106). Und doch fühle ich, was sie schreibt im Gespräch mit meinem Sohn, der mir mit 20 traurig erzählt, dass er das Kinderkriegen in einer sich selbst zerstörenden Welt nicht imaginieren kann und dabei vor allem die Möglichkeit vermisst, zu gestalten. Ich entgegne ihm, dass die Kunst Gestaltung erlaubt. Vielleicht fühlt es sich deshalb nach einer unauflösbaren Dichotomie an, das Muttersein und Kunstschaffen?

Wir witzeln über unsere Röhren beim Aufblasen herum. Wie übergroße Kondome werden die 40 Meter langen Bezüge über die Plastikbezüge gezogen und dann prall aufgepumpt. Die Nähte wollten wir von Hand schließen. Doch es ergeben sich Fenster in der Konstruktion: Das Plastik quillt aus dem Nahtloch. Wir lassen es so. Das Zulassen gehört zu den Eigenschaften, die wir als positiv nennen, als eine Journalistin zur Mutterschaft fragt. Sonst fallen uns eher negative Dinge ein. Zumindest liest sich der Artikel so. Es erscheint vor allem eine Zuspitzung, fast eine Provokation in Zeiten von Trad Wives und Attachment Parenting die Herausforderungen des Mutterseins klar zu benennen. Und was Karriere und Kunstmarkt angeht, gibt es keine von uns, die ein Kind zu bekommen als einfach beschrieben hätte.

Um dieses Zulassen geht es auch in einer Arbeit. Aus Becken wird Farbe mit Schläuchen an eine Wand gepumpt und rinnt daran herab. So, wie der Milchfluss nur bedingt kontrolliert werden kann, lässt sich die Arbeit mit Kind viel weniger steuern. Doch sind diese Prozesse nicht gerade deshalb interessant, weil es einer Verabschiedung von Perfektion bedarf? Weil sie eine Leichtigkeit und Unabhängigkeit haben müssen, damit die Mutter direkten Zugriff hat, wenn Arbeiten möglich ist? Weil zwischen den Herstellungsschritten einer Arbeit Reflexionsphasen liegen, die zum Um-die-Ecke-Denken Raum geben. Weil das ungeplante Eingreifen der Kinderhand leicht macht und durchlässig für Unerwartetes. Das Spielerische suchen wir für die Ausstellung. All unsere Vorbereitungen bleiben unfertig. Wir häufen Material an, mit dem wir dann probieren können. Alles scheint für unser Spiel geeignet. Eine Perestaltik-Pumpe wird im Dezember vom VW-Innovation Lab aussortiert. Und wird Spielmaterial zum Bau der Schlaucharbeit.

Schon bei einem der ersten Treffen entsteht die Idee von einer Waschanlage in der Ausstellung. Aus irgendeinem Grund meine ich, dass ich sowas bauen könnte. Parallel zum Nähen und den Gips-Arbeiten treffe ich mich immer wieder mit Christoph Sterz. Wir haben schon mehrere Projekte ertüftelt. Doch dieses Mal klappt es auf Anhieb. Ein Besenstiel mit einem angeklebten Handschuh dreht sich perfekt als Christoph den Motor startet, der mit einem Haushaltgummi den Besenstil antreibt. Doch die erste Person, die den Raum betritt zerstört das fragile Gleichgewicht. Der zwischen Decke und Boden auf zwei ehemaligen CD-Player-Mittelteilen eingeklemmte Besenstil kippt um. In den nächsten Monaten versuchen Christoph und ich in nächtlichen Sessions die Idee einer Waschanlage, die mit Handschuhen behängt ist, zu professionalisieren. Erst Kugellager, dann Rillenlager, die auch Kräfte nach unten aufnehmen können. Doch selbst diese Konstruktion wird noch verbessert. Ein Fallrohr, was sich um den Besenstil auf Kugellagern dreht. Das Drehen treibt ein Steppermotor an, der eigentlich dazu dient eine Maschine an eine bestimmte Position zu fahren. Über einen Gummiring findet die Kraftübertragung statt. Diesen Gummiring finden wir beim Hausmeister. Es ist eigentlich eine Dichtung eines LKWs.

Ich zögere, den anderen in der Gruppe von den Fortschritten an der Waschanlage zu berichten. Zu groß meine Zweifel, dass es nicht gelingen könnte. Zu wenig habe ich den Prozess selbst in der Hand. Denn ohne Christophs Erfahrung würde ich nicht wissen, wie sich ein Bewegungsmelder programmieren lässt oder ein Steppermotor steuern lässt. Doch wir bauen schon länger gemeinsam Projekte und ich habe immer mehr ein Gefühl für die Möglichkeiten und Grenzen der Technik. Eigentlich hätte ich die Handschuhe gerne mit Wasser gefüllt. Die Flüssigkeit macht sie lebendig. Doch es stellt heraus, dass die Handschuhe perfekt auf einer Armierungsmatte für Fliesen halten. Auf diese aufgezogen, lassen sie sich auch gut um das Fallrohr legen. Also kein Wasser. Beim Aufziehen der Handschuhe auf die Gitterstruktur, blickt mich rückseitig eine Arbeit an, die sich so nach Cécile’s Ästhetik anfühlt, dass ich das Gefühl habe, körperlich verbunden zu sein. Die Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen, beginnen zu verschwimmen.

Das Lebendig-Werden einer Arbeit durch Wasser in Latex, was sich je nach Temperatur sehr nach Haut anfühlt, merke ich mir für eine weitere Arbeit. Solche Ideen entstehen in der gemeinsamen Arbeit. Ein Aquarium, in das automatisiert die Tintentropfen fallen als live-Version des Porös Videos. Das Fließband, das Babys transportiert. Die Rutsche, die in der Luft endet. Susanne baut weitere Gipsobjekte. Es gilt dauern abzuwägen, welche eigenen Ideen in die Gruppe einfließen. Dabei nehme ich mich immer mehr zurück, um Raum zu lassen. Und dann gibt es irgendwann den Moment, in dem wir Löcher aus unbespielten Räumen in der Ausstellung haben. Lou, die wegen ihrer kleinen Kinder weniger Zeit vor Ort verbracht hat, schüttelt weiterentwickelte Ideen aus dem Ärmel, die anfangs diskutiert und dann scheinbar verschüttet waren. Der Außenblick. Ist das eine Mutterperspektive, die fruchtbar für die Arbeit ist? Die Geduld, nicht bei allem dabei zu sein und die Lücken zu erkennen und zu nutzen? Ihr Vorschlag mit Kohle direkt auf die Wand zu malen, ist betörend einfach und überzeugend. Und als sie ihn umsetzt, uns mit dem Beamer als Umrisse an die Wand wirft und dann in den nächsten Tagen mit ihrem Strich lebendig werden lässt, wiederholt sich etwas: Wir standen in weißen Staub gehüllt in der Gips-Werkstatt. Nun ist Lou von schwarzem Staub umhüllt im Durchgang. Der Staub fliegt überall hin. Soll uns kurz vor der Eröffnung den letzten Nerv rauben. Aber keine von uns greift in den Prozess ein. Zu klar ist, dass Lou spielt. Ganz im Moment vertieft ist und wir sie mit der banalen Frage nach den Konsequenzen des Kohlestaubs rausreißen würden.

Ich sehe mich, wie ich meinen Kindern beim Spiel zusehe und dem Entstehen einer Welt zusehen kann. Mutterschaft als das Bereitstellen einer Umgebung, in der das Kind selbst tätig sein kann. Das habe ich mitgenommen in die Kunst. Beim Projekte-machen Möglichkeitsräume erstellen. Und dann loslassen. Nicht mehr fragen, wessen Werk es ist. Aber wie Umgehen mit der Frage nach der Repräsentanz. Kommen wir alle genügend vor? Dieses gemeinsame Kreieren erfordert viel Vertrauen. Und ich merke, wie wenig wir uns kennen. Ich weiß nicht, welche Kräfte in jeder von uns stecken. Wie jede ihre Prozesse organisiert? Wie Entscheidungen getroffen werden? Und wer trägt bei einer Gruppe dafür die Verantwortung? Gibt es „Le Réel“ auch kollektiv und wie kann der Zugriff darauf gelingen, wenn die Verständigung aufgrund des vorsprachlichen Charakters des „Reel“ vermutlich über symbolisierende Versprachlichung unmöglich ist? Die Vermittlung untereinander gelingt über das „Wozu machen wir die Ausstellung?“ und das Muttersein als roter Faden. Doch die vorher selbstverständliche Sprache zu Mutterschaft ist nicht mehr flüssig. Anspannung. Zeitdruck. Wir gehen unterschiedlich damit um. Wir sind im Tun, nicht im Denken. Die vorsprachliche Verständigung?

Ich sende erste Bilder von der funktionierenden Waschanlage, aber durch mein Zögern den Prozess zu teilen, scheint sich das Gemeinsame an der Idee verflüchtig zu haben. Ich merke, wie der Aufbau durch pragmatische Überlegungen immer weiter nach hinten geschoben wird. Die Waschanlage soll in einen Durchgang, aber dieser ist auch der einzige Ausgang für die Hebebühne, die für das Bemalen der Frontscheibe und das Aufhängen der Luftröhren benötigt wird. Ich will meinen Stress nicht auf andere übertragen, weil ich sehe, wie es gerade gelingt in den Prozess einzutauchen. Doch als die Waschanalage zur Disposition steht, merke ich, dass ich an dieser Stelle nicht weich bin. Ich fühle mich dafür verantwortlich, dass diese Arbeit gezeigt wird. Die Streicheleinheiten, die die Anlage verteilt sind für alle da! Als sie steht, stellen wir fest, dass beim Drehen in die umgekehrte Richtung Schläge verteilt werden.

Wir treten in einen anderen Teil des Arbeitens ein. Weniger Symbiose. Es erinnert mich an den unstillbaren Hunger nach Erfahrungen mit Erwachsenen nach einer Zeit des Nur-Mutterns. Einmal ausgebrochen aus der Innenperspektive der einzelnen Arbeiten gerät der Ablaufs des Erlebens der Ausstellung für die Besucher:innen wieder in den Fokus. Was erzählen wir? Warum in welcher Reihenfolge? Hat sich der Anspruch das Ungreifbare zu erzählen erfüllt? Findet die Konfrontation des Niedlichen (Sianne Ngai) mit dem Unsagbaren statt, die wir in den Plüsch-bezogenen Barackenbetten visualisiert hatten und wegen seiner Geschmacklosigkeit verworfen, aber deren ästhetische Spur wir weiterverfolgen wollten? Ngai beschreibt: „Je kleiner und gestalterisch unbestimmter und tropf-artiger das Objekt ist, desto niedlicher wird es.“ (Ngai (2022), S.92)

Oben wird die Tropfenform in einem Video gezeigt, rote Tinte tropft in Wasser. Ein Blutbad der Schönheit. Schritt für Schritt ist dort Geborgenheit und Weichheit entstanden, die dann auch viele Besucher:innen an die Zeit in der Fruchtblase erinnert. Und beim Beobachten der Entstehung wird mir immer klarer, dass unsere Idee alle Arbeiten der Gruppe zuzuschreiben, funktionieren kann. Es spielt keine Rolle mehr, wer was aufbaut. Wichtiger wird, dass die Ausstellung als Ganzes funktioniert. Ich bin beeindruckt von der hypnotischen Wirkung der Videoarbeit oben, die gleichzeitig Ruhe und Sog verbreitet. Und ich bin stolz auf meine Kolleginnen.

Warum schreibe ich diesen Text? Ich will den Prozess hinter der Kunstherstellung transparent machen, weil Frauen sich gegenseitig unterstützen sollten, indem sie zeigen, wie ihre Prozesse ablaufen. Sichtbar machen, was nicht nur Künstlerinnen erleben, wenn sie Mütter sind. Eine Vereinzelung, ein Erleben, in einem wichtigen Bereich des Lebens zu Versagen. Nicht, weil Begabung oder Engagement fehlen, sondern weil es schlicht nicht möglich ist, eine Installation aufzubauen und gleichzeitig die Spülmaschine auszuräumen. Ein privilegierter, weißer Blick. Von Frauen, die von ihren Männern unterstützt werden, von Haushalthilfen und Babysitter nicht nur träumen und dennoch den Wecker, der um 15:30 daran erinnert, das Kind aus der Schule zu holen, als radikalen Einschnitt erleben. Deren Kinder nach der Schule mit ihren Freundinnen in die im Aufbau befindliche Ausstellung kommen, ihre Hausaufgaben hinter dem Tresen des Ausstellungsraums erledigen. Vielleicht haben wir deshalb die Rutsche nicht in der Luft enden lassen, freischwebend im Giebelraum. Ohne Nutzungsmöglichkeit. Was wäre das für ein tolles Bild? Eine Rutsche, die in ihrer Funktion nicht mehr taugt. Eine Künstlerin, deren erlernte Kreativität brach liegt, weil sie 8 Stunden am Tag still sitzt, mit einem Kind an ihrer Brust.


Edmund Burke, A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful, 1757 zitiert nach Nicolas Bourriaud, Climate Change and the new sublime, radicants, 2020, S.12

Nicolas Bourriaud, Climate Change and the new sublime, radicants, 2020, S.12

Sheila Heti, Mutterschaft, Rowohlt, 2019, S.106.

Orna Donath, Wenn Mütter bereuen, Knaus, 2016, S.100

Sianne Ngai, Das Niedliche und der Gimmick, Merve Verlag, 2022, S. 92

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2023

zur Ausstellung speichern: KOLLEKTIVÄT – DIE KUNST VIELE ZU SEIN
www.speichern.art

presse
MAZ 30_08_2023
PNN 07_07_2023
RADIO 1 06_09_2023


Ausgangspunkt für speichern war die Zusammenarbeit der Kurator:innen als Kunstkollektiv in verschiedenen Konstellationen ab 2011 sowie die Erbauung eines Mono-Funktions-Gebäudes für die kollektive Lagerung von Saatgut 1961 durch das VEB Fortschritt.

Die Exhibition ist die zweite ihrer Art an diesem Ort, einem ungenutzten Saatgutspeicher aus DDR-Zeiten in Nuthetal/Rehbrücke an der Stadtgrenze von Potsdam. Die gezeigten Arbeiten umkreisen Themen, die mit der Gemeinsamkeit der Existenz von Menschen und auch nichtmenschlichen Spezies in Verbindung stehen. Dabei befragen sie Konzepte, Praxen und Vorstellungen von Kollektivität und sind meist selbst kollektive Arbeiten.

Der Ort bringt geschichtliche und globale Bezüge mit sich. Mit dem Ende des „Ostblocks“ hat sich die Geschichtsschreibung zu einer universellen kapitalistischen Erzählung umgestaltet – eine allgegenwärtige Atmosphäre, die das Denken und Handeln beschränkt, die Kunstproduktion beeinflusst und bis zur der atomisierten Selbstbeschreibung der Menschen reicht. Judith Butler setzt dagegen eine soziale Ontologie, „die uns einerseits vom Individualismus wegführt und andererseits zeigt, dass es bei unserer gegenseitigen Abhängigkeit eigentlich um unser materielles, verkörpertes Leben geht. Darin besteht die Verbundenheit.“

Unsere Selbstbeschreibung beruht auf der Idee der Individualität. Wie lässt sich das Individuum als primäre Einheit, als Eigentümer:in, Konsument:in, Arbeitnehmer:in, Egoist:in hinterfragen? Wie können wir dem Verständnis näherkommen, dass wir bereits miteinander verbunden sind? Wo bleiben wir unverbunden? Was teilen wir? Und was wird damit unteilbar?

Heute sind die Fragen nach Gemeinsamkeit, Zwischenmenschlichkeit und Gemeinschaft aller Spezies auf einer begrenzten Welt unausweichlich und werden gesellschaftlich geführt: Fragen von Zentrum und Peripherie, Macht und globalem Süden, Unbehagen der Geschlechter, Ökologie und Zugang zu gemeinsamen Ressourcen wie Luft, Wasser, Boden, Wissen oder Wochenende.

Startpunkt für viele Arbeiten ist der Saatgutspeicher. Wie wird der Baukörper gelesen? Wie könnte er noch gelesen werden? Wir sehen den Speicher dabei nicht als Betonmasse, der wir mit unserer Interpretation einen sozio-ökonomischen Code oder ein menschlich dominiertes Symbolsystem überhelfen.

Mit der Pflegnutzung des Industriedenkmals und dem Anspruch Verunsicherungspotentiale freizulegen, begreifen wir die Ausstellung als soziale Plattform, die sich systeminhärente Widersprüche versucht bewusst zu machen und offene Prozesse initiiert. Kunst und Künstlerische Forschung kann an Stelle des Diskursiven sich vortasten, überwinden, erkunden und erlebbar machen.

Die Idee von Organismus-übergreifenden Netzwerken, die in Zusammenarbeit mit Zellen und umwelt-soziologischen Aspekten wirken, verschiebt die Alleinstellungsthese des Anthropozentrismus und setzt auf die Kooperation, Unterstützung und Neukombination spezifischer Fähigkeiten in neuen Netzwerken. Die Zusammenarbeit, das Ringen um Verständigung, welche im Kollektiv immer wieder trainiert werden muss, die ständig aktiv neu herzustellende Durchlässigkeit eröffnet auch Perspektiven der Zusammenarbeit außerhalb des Kunst-Kollektivs und ist deshalb Anlass Kollektive und Arbeiten, die sich mit Kollektivität beschäftigen, zu zeigen.

Wenn Grenzen porös sind und der Austausch von Informationen zwischen Menschen und ihren multiplen nicht-menschlichen Umgebungen unaufhörlich, sind wir verbunden mit dem Anderen, denn das Außen beginnt nicht erst an der Membran, die den menschlichen Körper umhüllt. Die Idee der Symbiose und die Fähigkeit einzelner Zellen sich zusammenzuschließen, um als Organismen andere Funktionen zu erfüllen, sehen wir auch als Potential von Kollektiven, ohne die dabei entstehenden Abhängigkeiten leugnen zu wollen.

Die kollektive Praxis ist für uns dabei aber nicht Allheilsbringer, sondern trägt auch strukturelle Gefahren. Die „Unfähigkeit zu Trauern“ wird von dem Ehepaar Mitscherlich den Deutschen eben gerade deshalb bescheinigt, weil sie in ihrer kollektiven Identifizierung mit Adolf Hitler individuelles Schulderleben verdrängen konnten, bzw. laut Mitscherlichs als Kollektiv sogar mussten, um nicht in eine kollektive Melancholie zu verfallen. Das Wirtschaftswunder diente als Ablenkung, doch das Ende des Wachstumszeitalters wird wahrscheinlich Shopping-Exzesse und unsichtbare Serververfügbarkeiten beenden.

Der Saatgutspeicher als Inbegriff des kollektiven Sammelns stellt Fragen nach dem Potenzial und den Grenzen des Gemeinsamen und ist verbunden mit kommunistischen Visionen gemeinschaftlicher Produktion, wie mit deren Kehrseiten – Zwangskollektivierung und Verantwortungslosigkeit.

Ausgehend von der documenta 15 hat Commune collective (Kairo/Berlin) gemeinsam und in Zusammenarbeit mit dem documenta-Archiv intime und reflektierende Videoporträts von Kollektiven erstellt. Im Rahmen der Ausstellung führten sie Interviews mit dem Kollektiv eeefff (Minsk/Berlin), collectif Grapain und Marcus Große über deren kollektive Praxis.

Wir sind froh, dass sich unser ursprünglicher Impuls für das Thema der Ausstellung, das auch viel mit unserer mehr als 10-jährigen Commons-Praxis als Gruppe, als Initiator:innen und Künstler:innen, zu tun hat, sich so realisiert. Dabei konfrontieren wir auch romantisierende Idealismen über Kollektivität, in dem Versuch das Konzept durchlässig zu machen.

Die Zusammenarbeit mit dem Vorhandenen im Speicher ist auch in der zweiten Ausgabe wieder zentrales Thema. Die dabei entstehende Assemblage bezieht sich noch expliziter auch auf das ZUSAMMENWirken mit  nicht-menschlichen Akteur:innen. Dabei gehen einige Arbeiten über die Annahme einer strukturellen Interdependenz unter Spezien hinaus und betrachten mehr als menschlichen Assemblagen als kognitive und Kollaborations-Partner:innen.

Partizipative und kollektive Praxen als Versuch, der Demokratie ein methodisches Upgrade zu verabreichen, wird von Silke Helfrich in „Commoning Art“ gefordert. Die Demokratie von der Abhängigkeit einer laufenden Mehrwertproduktion des Kapitalismus zu entkoppeln ist unabdingbar. Der Selbstbeschreibung des Menschen als kompetitives Individuum setzen wir die Idee der sich selbst-organisierenden communities entgegen:

Deren diverse, heterogene Zusammensetzung, und unterschiedlicher Funktionsbedarfe, sowie eine häufig postulierte Gleichwürdigkeit der Mitglieder eines Kollektivs, verdeckt deren Unterschiede in den Zugriffen auf materielle und kognitive Ressourcen. Die entstehenden Aushandlungsprozesse sind für uns fruchtbare Abbildungen gesellschaftlicher Diskurse. Im besten Fall gelingt dem Kollektiv ein rhizomartiger Zugriff, der bestehende Machtpositionen hinterfragt und die gleichwürdige Einspeisung in die künstlerische Arbeit ermöglicht und neue Perspektiven aufzeigt.

Wir fragen, ob kollektive künstlerische Praxis Zugriffe auf einen anderen Umgang mit Ressourcen aufzeigt? Die Ruine des Speichers stellt die drängende Frage nach Postwachstums-Nutzungen an sich. Wenn wir die Klimakatastrophe verhindern wollen, werden etliche bisherige energieintensive Nutzungen abgeschafft werden müssen. Diese hinterlassen Bauten, öffnen Räume, deren Beschaffenheit als Zeugen der Gewinnoptimierung und Effizienzsteigerung Material für Transformation sein können.

Vandana Shiva argumentiert, dass die Dominanz westlicher Biotech approaches insbesondere auch von Entwicklungsprogrammen und deren Kommodifizierung einheimischer Pflanzen, Samen und Spezies durch die Anwendung von westlichem Patentrecht gestärkt wird und als „biopiracy“ bezeichnet werden kann. Gleichzeitig kritisiert Shiva aber auch Ansätze in Indien, die kolonial geprägte Monokultur fortführen. Die Kolonisation durch Samen findet in weltweiten Monokulturen ihren Ausdruck, bei gleichzeitiger Anhäufung von Toxinen durch Müllexport in genau die Länder, in denen die Rohstoffe abgebaut, aber nicht genutzt werden.

Stellt die kollektive Praxis eine Überlebensstrategie Marginalisierter dar, die sich der Kapitalismus jetzt einverleibt oder ist sie Kompliz:innenschaft bei der Transformation jenseits eines Fortschrittsbegriffs?

Jenny Alten
für das SpeicherN-Team

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THE ART OF BEING MANY


The starting point for speicherN was the collaboration of the curators as an art collective in various constellations from 2011 onwards, as well as the construction of a mono-functional building for the collective storage of seeds in 1961 by VEB Fortschritt.

The exhibition is the second of its kind at this location, a currently unused seed storage facility from GDR times in Nuthetal/Rehbrücke on the city limits of Potsdam. The works on display revolve around themes related to the commonality of existence of humans and also non-human species. In doing so, they demonstrate, explore and question concepts, practices and ideas of collectivity and are mostly collective works themselves.

The location brings with it historical and global references. With the end of the "Eastern Bloc", the writing of history has been transformed into a universal capitalist narrative - a pervasive atmosphere that limits thought and action, influences art production and extends to the atomised self-description of people. Judith Butler, on the other hand, proposes a social ontology "that on the one hand leads us away from individualism and on the other shows that our interdependence is really about our material, embodied lives. That is what interconnectedness consists in."

Our self-description is based on the idea of individuality. How can we question the individual as a primary unit, as owner, consumer, worker, egoist? How can we come closer to understanding that we are already connected? Where do we remain disconnected? What do we share? And what does that make indivisible?

Today, the questions of commonality, interhumanity and community of all species on a limited world are inescapable and socially conducted: Questions of center and periphery, power and global south, gender discomfort, ecology and access to shared resources such as air, water, soil, knowledge or the weekend.

The starting point for many works is the seed store. How is the structure read? How could it still be read? We do not see the granary as a concrete mass on which we impose a socio-economic code or a human-dominated symbol system with our interpretation.

With the care use of the industrial monument and the claim to expose potentials for uncertainty, we understand the exhibition as a social platform that attempts to draws system-inherent contradictions to consciousness and initiates open processes. In place of the discursive, art and artistic research can feel its way forward, overcome, explore and make it possible to experience.

The idea of cross-organism networks that work in collaboration with cells and incorporate environmental-sociological aspects shifts the exclusivity thesis of anthropocentrism and relies on the cooperation, support and recombination of specific capabilities in new networks. Cooperation, the struggle for understanding, which has to be trained again and again in the collective, the permeability that has to be actively re-established all the time, also opens up perspectives of cooperation outside the art collective and is therefore an occasion to show collectives and works that deal with collectivity.

When borders are porous and the exchange of information between people and their multiple non-human environments is incessant, we are connected to the other, because the outside does not begin at the membrane that envelops the human body. We also see the idea of symbiosis and the ability of individual cells to join together to fulfill other functions as organisms as a potential of collectives, without denying the dependencies that arise.

For us, however, collective practice is not a panacea, but also carries structural dangers. The Mitscherlich couple attests to the Germans' "inability to mourn" precisely because they were able to repress individual guilt in their collective identification with Adolf Hitler, or, according to Mitscherlich, even had to do so as a collective in order not to lapse into collective melancholy. The economic miracle served as a distraction, but the end of the growth age will probably put an end to shopping excesses and invisible server availability.

The seed store as the epitome of collective collecting poses questions about the potential and limits of the common and is linked to communist visions of communal production, as well as its downsides - forced collectivisation and irresponsibility.

Based on documenta 15, Commune collective (Cairo/Berlin) together and in collaboration with the documenta archive created intimate and reflective video portraits of collectives. As part of the exhibition, they conducted interviews with the collective eeefff (Minsk/Berlin), collectif Grapain and Marcus Große about their collective practice.

We are glad that our original impulse for the theme of the exhibition, which also has a lot to do with our more than 10 years of commons practice as a group, as initiators and artists, has been realized in this way. In the process, we also confront romanticizing idealisms in order to make the concept itself porous and fluid.

The collaboration with the existing in the Speicher is again a central theme in the second edition. The resulting assemblage refers even more explicitly to working TOGETHER with non-human actors. Some works go beyond the assumption of structural interdependence among species and consider more than human assemblages as cognitive and collaborative partners.

Participatory and collective practices as an attempt to give democracy a methodological upgrade is called for by Silke Helfrich in "Commoning Art". Decoupling democracy from the dependence of capitalism's ongoing production of surplus value is indispensable. We oppose the self-description of the human being as a competitive individual with the idea of self-organizing communities:

Their diverse, heterogeneous composition and different functional needs, as well as a frequently postulated equality of the members of a collective, conceal their differences in access to material and cognitive resources. For us, the resulting negotiation processes are fruitful illustrations of social discourses. In the best case, the collective succeeds in a rhizome-like access that questions existing positions of power and enables an equal feed into the artistic work, revealing new perspectives.

We ask whether collective artistic practice reveals access to a different way of dealing with resources? The ruin of the warehouse poses the urgent question of post-growth uses in itself. If we want to mitigate the climate catastrophe, a number of energy-intensive uses will have to be abolished. These leave behind buildings, open spaces, whose nature as witnesses of profit optimisation and efficiency increase can be material for transformation.

Vandana Shiva argues that the dominance of western biotech approaches, especially of development programs and their commodification of indigenous plants, seeds and species, is strengthened by the application of Western patent law and can be described as "biopiracy". At the same time, Shiva also criticizes approaches in India that perpetuate colonial-style monoculture. Colonization by seed finds expression in global monocultures, with simultaneous accumulation of toxins through waste export to the very countries where the raw materials are extracted but not used.


Is collective practice just another survival strategy of marginalized people that capitalism is now assimilating or is it complicity in transformation beyond a notion of progress?


Jenny Alten
for the SpeicherN team




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*Dogs don’t cry (2023)

Hundelaufanlagen wurden an den Grenzanlagen der DDR ab Anfang der 1960er Jahre als Ersatz und Ergänzung für Selbstschussanlagen und Minenfelder installiert.

Eine Laufleinenanlage besteht aus einem zwischen zwei Böcken mannshoch gespannten Drahtseil, dem Laufseil. Je nach Gelände zwischen 50 und 100 Meter lang. An dem Laufseil hängt, mit einer Laufrolle oder einem Ring verbunden, die zweieinhalb Meter lange Laufleine des Hundes. Da sich die Laufstrecke des nächsten Hundes unmittelbar anschließt, die Hunde aber nicht aufeinandertreffen dürfen, sind vor dem jeweiligen Ende des Laufseils Stopper oder Seilklemmen angebracht. Es ergibt sich also ein Steg, eine winzige Bewachungslücke.


Morgens fährt ein Armeelaster mit Futter- und Wasserbottich die Trasse ab. Nach heißen Tagen soll eine weitere Wasserration ausgeteilt werden. Diese Order wird aber eher als Empfehlung gehandhabt und personelle Engpässe der Grenzkompanie immer zulasten der Hundestaffel behoben.


Auf den Patrouillen schützt der Hund den Grenzer davor, schießen zu müssen. Dieser Schutz und Fährtendienst geben seine unbrauchbaren Exemplare für die Trasse ab. Dort werden sie zu den Einsamkeitsgeschädigten, den nicht Schussfesten und Kaputtgehetzten hinzugefügt. Die an den Laufanlagen bereits eingesetzten Hunde sind die Mängelexemplare der Hundezucht: der Einhoder und der Zahnfehler. Mindestens aber müssen sie bellfreudig sein.


Jeder Hund erhält in der Stammrollennummer eine Wesensziffer über Schärfe, Sensibilität, Unbefangenheit und Härte. Eine Reihe wütender Hunde nebeneinander an der Trasse erschöpft sich, sodass eine Komposition für die Hundetrasse erstellt wird. Der Wütende neben dem Gelangweilten oder Sanften, wo die Dynamik des einen den Gelassenen mitreißt.


Ein Hund scheuert seinen Ring durch, schwängert die Hündinnen entlang der Trasse. Doch trächtige Hündinnen schwächen das Wachpotential. Gegen ihren wochenbettbedingten Dienstausfall gibt es den Befehl den Wurf zu töten. Abgänge durch Erhängen am Laufseil oder altersbedingtem Einschläfern, werden ersetzt mit neuen Aussortierten.


Nach der Wende finden 1500 „Trassenhunde“ in Haushalten der DDR ein neues Zuhause, 2500 vermittelt der Deutsche Tierschutzbund in der Bundesrepublik. Niemals hat einer der Hunde einen Grenzflüchtling gebissen. Auf Befehl wären die Hunde sogar mitgegangen.



Text: Jenny Alten, gekürzt nach Scherer, Marie-Luise (2013): Die Hundegrenze. Matthes & Seitz Berlin Verlag.



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*Dogs don't cry (2023)


Dog runs were installed at the border fortifications of the GDR starting in the early 1960s as replacements and supplements for self-propelled guns and minefields.


A running rope system consists of a wire rope stretched man-high between two trestles, the running rope. Depending on the terrain, it was between 50 and 100 meters long. The two and a half meter long running line of the dog is connected to the running rope by a running pulley or a ring. Since the running line of the next dog immediately follows, but the dogs may not meet each other, stoppers or rope clips are attached before the respective end of the running rope. A footbridge, a tiny guarding gap is unavoidable.


In the morning, an army truck with feed and water tubs drives down the running ropes. After hot days, another water ration is to be distributed. However, this order is rather handled as a recommendation and personnel shortages of the border patrol are always solved at the expense of the dog squadron.


On patrols, the dog protects the border guard from having to shoot. This “Schutz und Fährtendienst”, a division of the GDR army, gives up its useless specimens for the running ropes. There they join the lonely ones, the ones not able to shoot and the broken ones. The dogs already running the rope are the defect specimens of dog breeding: the one-hound and the tooth defect. The minimum requirement: barking.


Each dog received a character number stating its sharpness, sensitivity, impartiality and hardness A row of angry dogs next to each other exhausts itself, thus creating a composition for the dog route is necessary: The angry next to the bored or gentle, where the dynamics of one carries away the serene.


A dog scrubs through his ring, impregnates the bitches along the route. But pregnant bitches weaken the guard potential. To lessen their week-bed loss of service, the litter is killed. Departures by hanging on the running rope or age-conditioned putting to sleep are replaced with new sorted out ones.


After reunification, 1500 “Trassenhunde” find a new home in households in the GDR, 2500 are placed by the German Animal Welfare Association in the Federal Republic. Never did one of the dogs bite a border fugitive. On command, the dogs would even have followed.


Text: Jenny Alten abridged from Scherer, Marie-Luise (2013): Die Hundegrenze. Matthes & Seitz Berlin Verlag.


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Zusammengeflickt – Strasse des Friedens (2023)

Stoff, Vliesfutter, Nähgarn, Kabelbinder, Nylonschnur, LEDs 6500K, Reißverschluß

Größe variabel


presse
MAZ 05_07_2023
PNN 07_07_2023

Trigger Warnung: Dieser Text enthält Gewalt und Krieg.

Ukraine, Umkreis von Rawa-Ruska, August 1941. Das Lager in Bełżec war das erste von drei Vernichtungslagern der „Aktion Reinhard“, die allein zur physischen Vernichtung von Menschen bestimmt waren. Die drei Lager wurden in abgelegenen Gebieten errichtet und verfügten über Gleisanschlüsse, so dass eine große Zahl von Menschen ohne größeres Aufsehen dorthin gebracht und getötet werden konnte. Der Hauptgrund für das Stoppen der Tötungen war die Überfüllung der Massengräber. Nach der Verwesung drückten sich die Körper durch die Erdoberfläche ins Freie. Der Gestank war überall. Seit November 1942 wurden Leichen deshalb massenhaft exhumiert und auf großen Rosten aus Eisenbahnschienen verbrannt.Im Frühjahr 1943 wurden alle Spuren beseitigt, später wurde zur Tarnung ein Bauernhof auf dem Gelände angesiedelt.

Ukraine, Butcha, April 2022. Leblose Körper liegen auf der Strasse, werden aus Massengräbern geholt und neu begraben, das Geschlecht teilweise nicht mehr identifizierbar. Die Ermittler:innen werden durch ausländische Spezialist:innen unterstützt. Am 12. April treffen Forensiker:innen vor Ort ein und die Zahl der Toten wird revidiert. Recherchen der NYtimes identifizieren das 234. Regiment als eine Tätereinheit. Die Mörder benutzten die Mobiltelefone der Opfer, um damit in Russland ihre Familien anzurufen. „These killings were not random acts of violence but part of a methodical planned and lethal operation “ NYtimes, Dezember 2022.

Die Installation zeigt weiche, halbtransparente Stoffkörper, die übereinandergestapelt im Ausstellungsraum verblassen.

Bei der Herstellung der Leichen aus Stoff folge ich den Methodiken der Skalierung und optimiere den Prozess. Die Leichen aus möglichst einfach reproduzierbaren Einzelteilen herzustellen, reduziert deren Individualität. Im Prozess des Massenmordes geht es nicht um die Einzelne. Die Massenproduktion stumpft ab. Bei Leiche 32 denke ich nicht mehr daran, dass ich tote Menschen herstelle. Die Maschine rattert. Ich nähe nur noch Arme. Das Atelier wird zu einem Sweat Shop. Zwei Praktikantinnen bewerben sich. Sie kommen aus Odessa und Charkiv. Wir sprechen über die Bedeutung der Installation auf denglisch. Meine Tochter zeigt mir, dass ich in der Anton App, mit der sie Mathe lernt, auch Ukrainisch lernen könnte. Das wäre gut, aber ich muss mehr Leichen herstellen. Der Produktionsdruck führt zu Fehlern. Die Leichen gleichen nicht mehr eine der anderen. Die Füße werden viel zu klein.

Soll ich auch Kinderleichen herstellen? Bis zu welchem Alter ist man im Krieg noch ein Kind?

Darf ich das überhaupt? Ist das Aneignung? Insgesamt flicke ich eine winzige Menge Körper zusammen.

„Als sogenannter Lebensraum und Kornkammer stand die Ukraine im Zentrum von Hitlers kolonialer Expansion nach Osten und seinem damit verbundenen Vernichtungskrieg. Die deutschen Besatzer ermordeten in der Ukraine dreieinhalb Millionen Zivilist:innen, davon mehr als eine Million jüdisch. Weitere dreieinhalb Millionen starben als Soldaten der Roten Armee oder an Kriegsfolgen… Und doch lösten die ukrainischen Städtenamen, die nun in den Nachrichten auftauchten, kaum Assoziationen aus: … Mariupol: von der Wehrmacht in Schutt und Asche gelegt. Charkiv: in den Straßen der Innenstadt die aufgehängten Partisanen, tatsächliche oder vermeintliche; tagelang hingen die Leichen da, zur Abschreckung… Als Armenhaus Europas war die Ukraine bisher ein Reservoir billiger Arbeitskraft. …

Von den Menschen, die im Zweiten Weltkrieg aus der Sowjetunion zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt wurden, stammte mehr als die Hälfte aus der Ukraine, es waren etwa zwei Millionen, oft junge Frauen. Manche verstümmelten sich, um der Deportation zu entgehen. Blonde Bläuaugige waren auf einen Befehl Hitlers eigens für deutsche Haushalte zu liefern… An manchen Tagen kamen damals so viele deportierte Ukrainerinnen in Deutschland an, wie in jüngerer Zeit Geflüchtete.“ Charlotte Wiedemann 2022 in „Den Schmerz der anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis.“

Mit Rawa-Ruska verbindet mich mein Opa, der dort von August 1941 bis Februar 1942 Kreishauptmann war, als das Lager Bełżec am Rande seines Kreises ¬– nur 30 Autominuten entfernt – gebaut wurde und dort durch wochenlanges Experimentieren und „Probevergasungen“ Massenmord und Holocaust millionenfach möglich wurde.



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Patched together - Road of peace (2023)
Fabric, fleece lining, sewing thread, cable ties, nylon cord, LEDs 6500K.

Size variable

Trigger warning: this text contains violence and war.


Ukraine, Rawa-Ruska area, August 1941. The camp in Bełżec was the first of three extermination camps of "Aktion Reinhardt," designed solely for the physical extermination of human beings. The three camps were built in remote areas and had railroad sidings, so that large numbers of people could be taken there and killed without much fanfare. The main reason for stopping the killings was the overcrowding of the mass graves. After decomposition, the bodies pushed their way through the surface into the open. The stench was everywhere. Therefore, since November 1942, corpses were exhumed en masse and burned on large grates made of railroad tracks.

In the spring of 1943, all traces were removed, and later a farm was settled on the site for camouflage.

Ukraine, Butcha, April 2022. Lifeless bodies lie in the street, are taken out of mass graves and reburied, the sex partly no longer identifiable. The investigators are assisted by foreign specialists. On April 12, forensic specialists arrive on the scene and the number of dead is revised. Research by the NYtimes identifies the 234th Regiment as one of the perpetrator units. The killers used the victims' cell phones to call their families in Russia. "These killings were not random acts of violence but part of a methodical planned and lethal operation " NYtimes, December 2022.

The installation shows soft, semi-transparent fabric bodies stacked on top of each other, fading into the exhibition space.

Sewing corpses out of fabric, I follow methodologies of scaling and optimizing the process. Creating the corpses from individual parts that are as easily reproducible reduces their individuality. The process of mass murder is not about the individual. Mass production dulls. At corpse 32, I no longer think about making dead people. The machine rattles. I sew only arms. The studio becomes a sweat store. Two interns apply. They come from Odessa and Kharkiv. We talk about the meaning of the installation in “Denglish”. My daughter shows me that I could learn Ukrainian in the “Anton” app she uses to learn math. That would be good, but I need to make more bodies. The pressure of production leads to mistakes. The corpses no longer resemble one another. The feet are getting way too small.

Should I also produce children's corpses? Up to what age is one still a child in war?

Am I allowed to do that at all? Is that appropriation? All in all, I cobble together a tiny amount of bodies.

"As a so-called Lebensraum and granary, Ukraine was at the center of Hitler's colonial expansion eastward and his associated war of extermination. The German occupiers murdered three and a half million civilians inside Ukraine, more than a million of them Jewish. Another three and a half million died as soldiers of the Red Army or as a result of the war... And yet the Ukrainian city names that now appeared in the news hardly triggered any associations: ... Mariupol: reduced to rubble by the Wehrmacht. Kharkiv: in the streets of the city center the hanged partisans, real or supposed; for days the corpses hung there, as a deterrent... As the poorhouse of Europe, Ukraine had hitherto been a reservoir of cheap labor. ... Of the people who were deported from the Soviet Union to Germany for forced labor during World War II, more than half came from Ukraine; there were about two million of them, often young women. Some mutilated themselves to escape deportation. Blond-eyed ones were to be delivered on an order from Hitler specifically for German households... On some days, as many deported Ukrainian women arrived in Germany at that time as refugees in more recent times." Charlotte Wiedemann 2022 in "Understanding the Pain of Others. Holocaust and World Memory."

I am connected to Rawa-Ruska by my grandpa, who was the district governor there from August 1941 to February 1942, when the Bełżec camp was built on the outskirts of his district ¬- only a 30-minute drive away - and where weeks of experimentation and "trial gassings" made mass murder and the Holocaust possible by the millions.




ORAKEL (2021)

Installation am Bau

presse
MAZ 24_06_2021
PNN 25_06_2021

Leerstehende Etagen mit Blick aufs Wasser:  ehemals genutzt von der Softwarefirma oracle nun als Sinnbild für die Notwendigkeit der Veränderung: Der auf Wachstum basierende Kapitalismus und seine Aneignung der Umwelt als Ressource sind an einen Wendepunkt gekommen. Wir Menschen können nur dann überleben, wenn wir die Umwelt, andere Spezies aber auch Objekte, Pflanzen und Maschinen einbeziehen.


Die Leerstelle zwischen der Nutzung als Büroturm wird besiedelt von einem organisch wachsenden Rhizom, das über eine neue Verflechtung der Menschen mit den Pflanzen, eine Überschreitung der Grenzen von Objekt und Lebewesen spekuliert.


Nachts von innen beleuchtet pulst das leere Gebäude organisch, während tagsüber was nachts hell scheint, strahlt jetzt dunkel. Das Kunstwerk zwischen Lichtinstallation, Malerei und Chimärenschau verändert sich über den Präsentationszeitraum.


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Vacant lofts with a view: what used to be humming cubicles of software company Oracle, now becomes a symbol for the need to adapt. Growth-based capitalism and it’s appropriation of nature as a resource has come to a tipping point: humans will only survive if we cooperate with plants, objects, species and machines.


The blank between two cycles of cubicle tenants will be inhabited by an organically growing rhizom that speculates on a new entaglement of humans and plants transgressing the membranes of objects and living species.


While pulsing organically as a light installation at night, at daytime inversly the bright lit roots become black structures in the painting on the glass windows.


The work oscilates between light installation, painting and chimera show, transforming over the duration and terminating by the occupation of the space by a new tenant.